In unseren Gärten haben viele Pflanzen die Zeit überdauert. Oft werden sie historisch genannt, allerdings ist der Begriff dehnbar. Ab wann ist eine Pflanze historisch?
Eine Pflanze, die in diesem Jahr erhältlich ist, kann im nächsten Jahr schon historisch sein, weil sie vom Markt genommen wird.
Bei den Rosen beispielsweise erleben wir eine Diskussion über den Zeitpunkt des Endes der Alten Rosen und den Beginn der Modernen Rosen. Die Züchtung der ersten Teehybride ‘La France’ im Jahre 1867 wird üblicherweise als Beginn der Modernen Rosen angenommen, aber von einigen Rosenexperten auch kritisch gesehen. Der bekannte, mittlerweile verstorbene Rosenzüchter Peter Beales schlug vor das Enddatum für Alte Rosen von 1867 auf 1940 zu verlegen, um Gruppen wie die Moschata-Hybriden oder die klassischen ersten Teerosen einzuschließen (Beales 2004:106 u. 116).
Pflanzen aber interessiert diese Diskussion nicht. Wenn eine Pflanze es schafft, über einen langen Zeitraum vermehrt und gepflanzt zu werden, muss sie neben Attraktivität eine gewisse Robustheit mitbringen.
Mein Interesse an „alten“ Pflanzen begann vor etwa 25 Jahren mit der Planung für einen öffentlich zugänglichen Privatgarten. Da es vorher an der Stelle keinen Garten gegeben hatte, war die Planung eine Neugestaltung, bei der ausschließlich Pflanzen verwendet werden sollten, die vor dem Ersten Weltkrieg nachweislich in Gärten zu finden waren.
Die Grundlage der Pflanzplanung des etwa 2000 qm großen Gartens bildeten vor allem Pflanzenlisten aus Wredow’s Gartenfreund. Das Buch des Pfarrers Christian Ludwig Wredow (1773-1823) erschien erstmals 1818 und wurde nach dem frühen Tod des Verfassers ab der 4. Auflage von dem Berliner Pfarrer Carl Helm herausgegeben. Es erlebte bis in das späte 19. Jahrhundert viele weitere Auflagen.
Schwieriger gestaltete sich die Beschaffung der Pflanzen. Teilweise konnten keine Bezugsquellen ermittelt werden – um 2000 waren der Versand und die Recherche über das Internet noch lückenhaft. Gärtnereien sendeten, obwohl ausdrücklich nicht gewünscht, andere Sorten als Ersatz. Es kam auch vor, dass Lieferungen ganz andere Pflanzen enthielten – was sich erst in der Vegetationszeit herausstellte. Um den jungen Garten anziehender zu gestalten – er war öffentlich zugänglich an einem Café mit vielen Besuchern in den Sommermonaten – wurden Ausstellungen mit alten Sorten von Tulpen, Duftwicken, Nelken, Pelargonien und Fuchsien organisiert.
Leider musste er 2019 einer Wohnbebauung weichen.
Bei der Auflösung des Gartens vor seiner Überbauung konnten Pflanzen in meinen eigenen großen Garten in der Nähe der Ostsee umgesiedelt werden. Dies war der Beginn einer Sammelleidenschaft vor allem alter Sorten, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Gartenkultur waren. Der Gartenschriftsteller Hermann Jäger (1815-1890) nannte 1875 eines seiner vielen Bücher Der Immerblühende Garten, was als Motto diesen Garten prägt.
So beginnt das Jahr mit frühen Helleborus niger, mit Schneeglöckchen und Winterlingen, den attraktiven Blütenständen von Helleborus foetidus, später gefolgt von Helleborus orientalis in Sorten. Für Duft sorgen große Lonicera purpusii-Sträucher und Sarcococca-Arten, die sich bislang als recht winterhart gezeigt haben.
Ab Ende Februar beginnt die Narzissenzeit mit Sorten wie 'February Gold' (Züchter Gebrüder de Graaff, 1923), 'Rip van Winkle' (vor 1884), 'Sailboat' (William G. Pannill (USA) 1980), 'Silver Chimes', 'Thalia' (van Waveren 1916), N. bulbocodium 'Golden Bells', N. 'Albus Plenus Odoratus' und und zieht sich mit N. poeticus var. recurvus bis in den Mai hinein.
Im „Paeoniengarten“ sind etwa 20 Sorten in jeweils 5 bis 10 Stück aus der Zeit um 1900 aufgepflanzt. Viele sind Züchtungen des französichen Züchters Pierre Louis Victor Lemoine (1823-1911) wie ‘Le Printemps’ (1905) oder ‘Primevere’ (1906).
Für eine lange Attraktivität wird im Garten in „Pflanzschichten“ mit unterschiedlicher Blütezeit bepflanzt.Den Beginn des Frühjahrs bildet ein Teppich aus Chionodoxa forbesii in den Sorten 'Pink Giant' und 'Blue Giant'. Im Herbst 2023 wurden zusätzlich 20 Primula sieboldii-Sorten gepflanzt. Nach der Blüte der Pfingstrosen Mitte Juni sorgen in dem Bereich einige Strauchrosen, Phlox und verschiedene Hydrangea paniculata für spätere Blühaspekte.
Viele weitere Sorten einfach blühender Paeonien finden sich im ganzen Garten. Neben den Pfingstrosen sind es Rosen, die den Garten prägen. Es gibt einen rose walk mit etwa 40 der Englischen Rosen von David Austin in weiß, rosa und purpurn, eine fast komplette Sammlung der Moschata-Hybriden von Joseph Pemberton und natürlich viele der Alten Rosen. Insgesamt sind es Anfang 2024 etwa 250 verschiedene Rosen. Ende Mai blühen frühe Rosen wie Frühlingsanfang, Frühlingsgold oder Frühlingsduft, den Rosen der Frühlingsserie aus den 1950er Jahren von Kordes, die Apfelblüte beginnt. Der Juni ist Pfingstrosenzeit, gefolgt von der Rosenblüte der Alten Rosen.Im rose walk mit den Englischen Rosen sorgen silber- und weißpanaschierte Pflanzen wie Cornus alba 'Elegantissmia' oder Artemisia 'Powis Castle' für Struktur und Winteraspekt.
Der Spätsommer schließt mit zahlreichen Montbretien-Sorten, Astern, Herbstanemonen und der Nachblüte der Rosen. Winterharte Fuchsien blühen bis zum ersten Frost.
Viele der Pflanzen im Garten waren schon im 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert in Gartenkultur. Sie dienen als Sammlungs- und Sichtungsmaterial um Erkenntnisse für Pflanzplanungen im historischen Kontext zu gewinnen. So ist der Garten ein Experimentierfeld für die praktische Umsetzung der Auswertung historischer Pflanzlisten sowie der Prüfung von Verfügbarkeit der Sorten im Handel. Die praktische Arbeit mit den Pflanzen hilft, Erkenntnisse der damaligen gärtnerischen Praxis zu gewinnen.
Text und Bildquelle: Dr. Reinhild Ruhnke
Zu meiner Person
Studium Freiraumplanung und Landschaftsarchitektur in der Leibniz Universität Hannover, Promotion an der Leibniz Universität Hannover bei Prof. Dr. Joachim Wolschke-Bulmahn zu Schmuckplätzen und Blumenschmuck in preußischen Städten im 19. Jahrhundert. Selbstständig seit 1997 mit Büro in Hamburg und Klütz.
Narcissus und Primula
Bild 2: Narcissus 'Rip van Winkle' (1848)
Bild 3: Narcissus 'Silver Chimes' mit Geranium phaeum 'Wendy's Blush'
Bild 4: Primula sieboldii 'Nuretubame'
Pfingstrosen
Bild 1: Paeonia 'Helene Martin' und Syringa meyeri 'Palibin'
Bild 5: Paeonia 'Soft Salmon Saucer'
Bild 6: Paeonia peregrina
Bild 7: Paeonia lactiflora 'Monsieur Jules Elie'
Rosen
Bild 8: Rosa 'Yellow Mutabilis'
Bild 9: Rosa 'Moonlight'
Bild 10: Rosa 'Variegata di Bologna' (1909)
Englische Rosen
Bild 11: Rosa 'Darcey Bussell'
Bild 12: Rosa 'James Galway'
Bild 13: Rosa 'Susan Williams-Ellis'